SOUL JAZZ ORCHSTRA: POLYRHYTHM PROGRESSION 

Das Atomic Café in München ist an diesem warmen Dienstagabend Ende Mai sehr gut besucht. Es ist keine Absicht, dass es weit über 30 Grad in der beliebten Location im 60er Jahre-Stil hat. Die Klimaanlage war kurz vorher kollabiert. Man könnte jedoch meinen, dass es den modernen Afrobeat-Polyrhythmen der kanadischen Kapelle SOULJAZZ ORCHESTRA ganz gut ins Konzept passt. Ihre schweißtreibenden Grooves treiben die Temperaturen und das euphorische Publikum nur noch mehr nach vorne. 

Mit ihrer Scheibe „Manifesto“ war das Kollektiv aus Ottawa für wenige Konzerte in Europa. Wie es fast immer im der Fall ist, spricht die von ihnen gespielte Musik nur ein kleines Publikum an, dass sich in der Materie zwischen Fela Kuti, James Brown und Mulatu Astatke auskennt.

Für den Live-Auftritt des flotten Sechsers sind alle offenkundig sehr dankbar. Tobias Kirmayer, Betreiber des angesehenen Tramp Records Label, realisierte diese Veranstaltung. Der innovative und dynamische Sound durchdringt den Raum und hält was er auf den Schallplatten-Veröffentlichungen versprach.

Bereits 2006 schlugen die Kanadier mit ihrem Album „Freedom no go die“ nicht nur wegen ihren sozialkritischen Botschaft und der Kritik an der Bush-Admistration, voll ein. Ihr Energie-beladenes Konzept, Elemente der 60er Jahren zwischen Weltmusik und Funk auf ein neues Level zu hieven machten sie schnell in Liebhaberkreisen bekannt.

International konnten sie fleißig Referenzen und Anerkennung sammeln, als sie neben etablierten Künstlern wie The Dap-Kings, The Quantic Sou Orchstra, K-OS, Saul Williams, Dele Sosimi (Egypt 80), Etta James oder Radiohead die Bühne teilten. So verkörpern sie seit dem Jahr 2002 den Faktor „Multi“ wie kaum eine andere Band. Sie sind multi-gender, multi-kulturell und multi-lingual. Der aktuelle Hype um analog-eingespielte Grooves der kleinen Renaissance authentischer Funk, Soul und Afrobeat-Sounds kommt ihnen gerade Recht – vor allem weil sie diesen Vibe mit ihrem Weltmusik-Einfluss bereichern können. Ihr brandneues Werk “Rising Sun” erscheint dieser Tage auf Strut Records und führt ihre musikalische Offenheit und Entwirklung weiter. Philippe Lafrenière, Drummer und Mastermind der Gruppe beantwortete uns die Fragen.

1. Ihr wurdet im Jahr 2002 gegründet. Wie habt ihr zusammen gefunden?

Lafrenière: In Ottawa gab es zu dieser Zeit einige hippe Jams. Vor allem in der Mercury Lounge traf man sich zu guten Sounds. Wir lernten uns dort kennen und merkten sofort wie sehr wir musikalische Gemeinsamkeiten hatten. So begannen wir bald zusammen zu proben, zu komponieren und zu musizieren.

2. Eure musikalische Mixtur basiert im Afrobeat und flirtet gerne mit 60er Jahre Funk und Soul oder auch Latin. Würde du sagen, dass Künstler wie die Antibalas oder The Dap-Kings als Pioniere den Weg für solchen Sound geebnet haben?

Lafrenière: Um ehrlich zu sein, kannten wir diese Musiker gar nicht. Jedoch sind wir vom Ansatz sehr ähnlich. Wir spielten jedoch alle vorher in verschiedenen Bands die bevorzugt Jazz, Pop, Afrobeat und Funk aus Nigeria und Ruanda nachspielten. Wir waren also mit afrikanischen Polyrhythmen schon einige Zeit vertraut. Mit Funk & Soul sind wir aufgewachsen. Da lag es nahe das alles zu vermischen. Wir sind uns bewusst über die Roots, aber nicht beschränkt auch neue Wege zu gehen.

3. International habt ihr großartige Kritiken für eure Definition von Afrobeat bekommen. War es überhaupt Euer Ziel eine Art neue Formel zu generieren?

Lafrenière: Wir wollten schon immer unser eigenes Ding machen und unseren eigenen Style entwickeln. Wir sind zufrieden damit etwas Einzigartiges und Persönliches geschaffen zu haben mit Respekt vor der Vergangenheit. Es freut uns natürlich dass das einigen Leuten gefällt.

4. Viele moderne Funk-Combos sprechen darüber, dass der Rhythmus in der Mitte des Sounds stehen muss. Ich denke ihr habt eine andere Philosophie. Die majestätischen Bläser sind sehr dominant…

Lafrenière: Definitiv. Für uns muss die Musik mehr als nur einen guten Beat haben. Wir versuchen ständig neue Grooves mit Tiefe und Substanz zu entwickeln.

5. Mitte der 60er Jahre gab es einen offensichtlichen Einfluss der afrikanischen Highlife-Polyrhythmen auf den amerikanischen Funk. Denkst du dass das der historisch wichtigste Punkt für den Austausch an sich war? Das Genie von James Brown und Fela Kuti basiert doch darauf…

Lafrenière: Die Wurzeln liegen einfach in Afrika und in den 60ern waren der
Austausch über den Atlantik einfach intensiv. Darauf kann man heute noch
aufbauen. Das inspiriert uns sehr und wir fühlen diese Energie. 

6. Findest du die musikalische Vielfalt, die Afrika bietet, immer noch für zu wenig entdeckt und ausgeschöpft?

Lafrenière: Sicherlich. Es gibt sehr viel mehr als nur Fela und Afrobeat. Die
Medien reduzieren das doch nur auf diese eine wichtige Figur. Wir beschäftigen uns gerade sehr mit ägyptischen und ethopischen Jazz, großartigen Werken aus Ghana, Togo oder Benin.

7. Ganz neue Welten betretet ihr auf dem Stück „Dub We“…

Lafrenière: Ja wir versuchen immer neue Richtungen einzuschlagen. Das ist eine Kooperation mit Horace Andy und Ashley Beedle für die nächste Inspiration Information – Ausgabe. Reggae und Afrofunk in einem Mittelweg – wir finden das spannend.

8. Ihr seid fünf Männer und eine Frau in der Band. Marielle, wie überlebst du das eigentlich?

Marielle Rivard: Keine Ahnung! Es ist gar nicht so schlecht. Wir sind wie
Geschwister. Wir lachen viel mit einander. Vielleicht ist das die Erfolgsformel.

9. Ihr seid viel unterwegs und spielt weltweit viele Gigs. Wie wichtig ist es euren „earthquaking sound“ live auf der Bühne zu spielen und eure Musik zu verbreiten?

Lafrenière: Wir wollen natürlich so viel Menschen wie möglich mit unserer Musik erreichen. Wir lieben es auch zu reisen und Leute und Kulturenkennen zu lernen. Es gibt ja auch nichts besseres als auf der Bühne zu stehen.

10. Kanadier sind dafür bekannt, dass sie multikulturell, liberal und open-minded sind. Ist das in Eure Musik auch eingeflossen?

Lafrenière: Unsere Musik reflektiert natürlich auch unsere Umwelt. Wir haben auch viele Freunde aus verschiedenen Kulturen. Das fließt sehr mit ein. Musik kennt keine Grenzen. Das haben einige Menschen vergessen. Wir erinnern sie gerne wieder daran. 

11. Man hört an Eurer Musik natürlich deutlich heraus dass ihr von den 60ern sehr inspiriert seid. Gib es auch aktuelle, moderne Musik die euch bewegt?

Lafrenière: Viele aktuelle Musik ist sehr von Computer beeinflusst. Digitale Instrumente, Beats usw. Ich will die menschliche Komponente in der Musik hören und fühlen. Handgemachtes ist mir lieber. Aktuell mögen wir Nostalgia77, Quantic oder die neue Heliocentrics-Kollaboration mit der Jazzlegende Mulatu Astatke.

12. Welche fünf Songs gehören für Euch zu Alltime-Classics?

Mondo Soul Funky – Ebo Taylor Jr.

Kyenkyen Bi Adi Mawu – Alhaji K. Frimpong & his Cubano Fiestas

African Battle – Manu Dibango

Use It Before You Lose It – Bobby Valentin

Rejoice – Pharoah Sanders

13. Da ist viel Latin Groove, Jazz und Afrobeat dabei. Euer aktuelles Album “Manifesto” rotiert gerade auf allen relevanten Kanälen. Welche Pläne habt ihr für die nahe Zukunft und was erwartet den Hörer?

Lafrenière: Wir lieben sie Vielfalt. Wir haben gerade die Arbeit an einem neuen Album beendet. Ich will noch nicht so viel darüber erzählen, aber es wird eine weitere, bisher unbekannte Seite von uns zeigen. Live haben wir es schon eigene Mal angetestet und die Leute haben es gemocht. Im Spätjahr wird man mehr davon hören können. Watch out!

 

Text & Interview: Peter Parker 

 

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         Bisher veröffentlichte Alben:

 

  • Uprooted (Funk Manchu, 2005)
  • Freedom No Go Die (Do Right!, 2007)
  • Manifesto (Do Right!, 2008)
  • Rising Sun (Strut, 2010)
  • Solidarity (Strut, 2012)
  • Inner Fire (Strut, 2014)
  • Resistance (Strut, 2015)
  • Under Burning Skies (Strut, 2017)
  • Chaos Theories (Strut, 2019)