FREEDOM OF SPEECH

Der MC aus Minden gilt als Inbegriff des deutschsprachigen Raps der 2000er und als eine der wichtigsten Stimmen im Game. Manch ein Journalist war dazu verleitet ihn als Conscious Rapper einzuordnen, weil Curse sich durch seine Texte vom Grand der Szene abhob und sich nie nur auf Battle-Texte reduzierte. Wir haben den sympathischen Anfangdreiziger zum zentralen Punkt seines neuen Albums "Freiheit" gefragt. 

 

Das Album erschien am 29. August 2008 über Subword / Sony BMG. 

 

Direkt nach 9/11 hast du den sehr prägnanten Song „Nichts wird mehr so sein wie es war“ umsonst ins Netz gestellt. Darin gehst du kritisch mit den schrecklichen Vorkommnissen von Ground Zero um und versuchst die Ursachen zu beleuchten. Ist dein aktuelles Statement „Freiheit“ eine Weiterführung der Gedanken von 2001?

Curse: Nicht konzeptionell, nein. Ich hatte „Nichts wird mehr so sein wie es war“, den Song von damals, absolut nicht im Kopf als ich Freiheit geschrieben habe. Von daher sind es zwei völlig verschiedene Songs und Momente. Trotzdem könnte man sagen dass sie einen gewissen Zusammenhang haben da die Frage nach „Freiheit“ auf unterschiedliche Weise auf beiden gestellt wird.

Auf jedem deiner bisherigen Alben versuchst du eine gewisse Basisbotschaft zu vermitteln. Wie fand Wolfgang Schäuble (Innenminister) dein Album „Inner Sicherheit“ bzw. wie gehst du mit Kritik um?

Curse: Hammer Frage! Wolfgang Schäuble hat mir zumindest noch keinen Fanbrief geschrieben – bisher. Kritik ist für mich gut und hilfreich, wenn sie von Leuten kommt deren Meinung und Expertise ich schätze, und wenn sie konstruktiv ist. Uninformierte oder „launische“ Kritik bringt mich nicht weiter, daher tu ich mein bestes um sie zu ignorieren.

 Seit einiger Zeit werden gerade in Deutschland die Rufe nach Rap mit Inhalt wieder lauter? Wie siehst du die Entwicklung in der deutschen HipHop-Szene. Bist du, wie Dendemann, auch ein Verfechter der Vielfalt und hörst dir auch alles an, oder ist dir die einschleichende Monotonie zu viel?

Curse: Ich höre mir auf gar keinen Fall alles an. Ich möchte keine Musik hören oder Bücher lesen oder Filme schauen die mich langweilen. Im Deutschen Hip Hop hat der Mut abgenommen, einfach „man selbst“ zu sein. Viele Newcomer kopieren erfolgreiche Künstler und kauen Worte, Attitüden und Images wieder. Das führt zu einem gewissen Stillstand. Mich langweilt das. Ich höre mir den deutschen Hip Hop an, der innovativ und frisch und mutig ist. 

Vor zehn Jahren war es der Wu-Tang-Clan, der in seinen Texten die dramatischen Ereignisse in den sozialschwachen Vierteln thematisiert hat. Sie waren es, die die Geschichten über tote Babies und die damit verbundenen Probleme durch ihre Raps einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht haben. Du hast auf „Lila“ eine ähnliche Story. Wie kam es dazu, dass du dich gerade für solch ein brisantes Thema entschieden hast und was willst du damit erreichen?

Curse: Der Song ist beim schreiben entstanden. Es gab keinen Entschluss a la „Jetzt muss ich einen Song zum diesem Thema machen“. Ich wollte zuerst eine Geschichte erzählen, in der es darum geht wie Menschen durch Erlebnisse, Kindheit, Erfahrungen und Konditioniereng geprögt und beeinflusrt werden. Wir trauen uns so oft zu wenig zu oder fügen uns auf grund angelernter Muster in bestimmte Rollen die uns nicht gut tun. Während ich den Song geschrieben habe hat sich das Ende dieser Story immer mehr manifestiert. Es ist ein mögliches, sehr finsteres, Ende zu einer solchen Story. Ich bezwecke damit Emotionen in den Menschen hervor zu rufen. In den Medien werden diese Themen auf eine Art und Weise dar gestellt, die eine wirklich ernsthafte Auseinander setzung damit fast nicht ermöglichen. Alles ist oberflächlich. Die Gabe von Kunst ist es, diese oberfläche zu durchbrechen.

Du bist schon seit einer gefühlten Ewigkeit im Rapgame, dass sich ständig verändert und verschiedenen Trends hinterherläuft, dabei. Du hast dir dein „Branding“ erarbeit und versuchst dich immer wieder weiter zu entwickeln. Progressive Künstler sind selten geworden. Woher nimmst du deine Inspiration? Was ist dein Antrieb?

Curse: Mein Antrieb ist meine Lust daran, Neues zu entdecken! Das beginnt beim Reisen, geht über das kennen lernen fremder Menschen über das probieren von neuem Essen oder der Suche nach Inspiration mit unzähligen Büchern und Artikeln zu verschiedensten Themen. Für mich ist der Sinn des Lebens das Leben an sich, und Leben bedeutet wachsen, ausdehnen, entwickeln. Auf der Stelle zu stehen wäre für mich ein nicht lange auszuhaltender Zustand. Ich habe zum Beispiel auch musikalisch keine Berührungsängste mit Pop oder Reggae. Dafür riskiere ich natürlich Kritik von den Die-Hard-Rapfans - aber ich bin Künstler und will Dinge weiterentwickeln. 

Die nächste Generation von MCs haben ganz unterschiedliche Bezüge zur Kultur. Gerade gehypte Rapper wie Kollegah kokettieren mit einem Anzug und im Playerstyle mit dicker Zigarre, um sich von anderen abheben zu wollen. Legitim, weil dass ja schon viele vor ihm gemacht haben. Gleichzeitig rappt er über Billigtechno-Beats und suggeriert dem Publikum, dass er mit den Baggys, bunten Klamotten und dem „Graffiti-Zeug“ überhaupt nichts verbindet und auch nicht zu tun haben will. Wie siehst du diese Entwicklungen?

Curse: Ich kenne zu wenig von Kollegah’s Musik um dazu irgendetwas relevantes zu sagen. Er ist ein talentierter MC, so viel steht fest. Die jungen Cats im Deutschrap haben von komischen Leuten gelernt, und bei diesen komischen Leuten ist zB. Grafitti uncool. Sowas fällt für mich aber eigentlich unter Ignoranz und ich kann auch nicht wirklich glauben dass jemand das über den „coolness“ Effekt hinaus tatsächlich ernst meint. Prinzipiell finde ich es gut, dass junge, hungrige MCs was Neues machen und das Alte kritisieren. Ich persönlich finde es wichtige Kunst und History zu respektieren. 

 Als ich davon hörte, dass du Westernhagen’s „Freiheit“ covern willst, war ich nicht der Einzige, der dass anfangs skurril fand. Du flirtest hier schon bewusst mit dem Mainstream und einem Song, den viele mit der Wiedervereinigung verbinden!?

Curse: Mein Album heißt „Freiheit“, und das hiess es schon über ein Jahr bevor wir darüber nachgedacht haben den Song zu samplen. In meinem Song geht es um das Gefühl von Freiheit an sich, um die Suche nach der persönlichen Freiheit, und darum, was dieses Wort für unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Die Wiedervereiniging ist in dem Song überhaupt nicht erwähnt. Das Streben danach, „Frei zu sein“, was auch immer das heißt, ist Thema des Songs und sicher auch Hintergrund der Wende. Das Original von Marius ist ein Stück deutsche Musik und Kulturgeschichte. Und Rap sollte das auch sein, denn guter Rap ist die heutige Fortsetzung der literarischen Tradition von Göthe oder Schiller. Und guter Rap sollte als das respektiert werden, anstatt von Vorurteils behafteten Meinungsmachern in die Böse-Buben oder Cartoon-Goldketten Ecke gedrängt zu werden.

Auf deinem aktuellen Album findet man einige Features aus dem Popbereich, die man wohl nicht erwartet hätte außer dem Beitrag von Xavier Naidoo. Es scheint du hast überhaupt keine Berührungsängste mit Leuten wie Silbermond zu arbeiten. Glaubst Du, dass durch solche Zusammenarbeiten HipHop & Pop noch weiter zusammen gebracht werden, wie es z.B. Timbaland in den USA fordert und auch anstrebt?!

Curse: Es gibt keine Berührungsängste wenn das Gefühl und die Einstellung stimmen. Mit Silbermond zum Beispiel verbindet mich die Ansicht der Dinge und unser Spass an dem was wir tun, und nicht der Musikstil. Wenn man ein paar Zentimeter unter die Oberfläche schaut, ist auch das dass wichtigste. Ich möchte mit diesem Album meine Musik, und dadurch auch deutschen Rap, öffnen und in das Licht stellen, das sie verdient. Gute Musik und gute Texte brauchen keine Schublade, im Gegenteil, sie sind dazu da Schubladen zu sprengen.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch alle deine Veröffentlichung. Du hast immer einen positiven, sagen wir mal optimistischen aber kritischen Unterton. Zur Zeit stehen aber sehr viele Kids auf Ghettoromantik, Gangstabounce und Bang-Bang-Rhymes. Du machst dich so nicht unbedingt attraktiv mit deiner Botschaft! Wie siehst du das?

Curse: (lacht) Dieses Risiko gehe ich ein. Ich schreibe keine Texte um mich an momentane Trends anzubiedern. Zu Zeiten des Lustig-Rap Hypes habe ich trotzdem ernste Themen angesprochen. Zur Zeit des Battle-Rap Hypes habe ich trotzdem Geschichten erzählt. Und genau deshalb sind die Alben auch zeitlos: Du hörst keinen trend den du mit einer bestimmten Epoche verbindest, wie zum Beispiel die Benutzung von lauter B-Klasse Synthies auf Produktionen der letzten Jahre, die heute niemand mehr hören will. Wenn du ein Curse Album hörst, bekommst Du ein absolut eigenständiges Kunstwerk und Statement, und das ist das Beste was mir als Künstler passieren kann.

Du giltst als sehr belesen und politisch interessiert. Von Nas, The Roots, Crooked I bis zu den Black Eyed Peas – dass Thema Obama bewegt die Welt und HipHop scheint eine entscheidende Rolle einnehmen zu wollen. Obama wird inzwischen wirklich gute Option auf die Wahl eingeräumt. Wird er wirklich die Welt ändern können und, sagen wir mal, einen Kennedy-Effekt bewirken können?

Curse: Der symbolische Charakter einer Wahl Obamas wäre enorm. Das allein kann schon viel bewirken, sowohl in dr Aussenwahrnehmung Amerikas als auch im Selbstbewusstsein der USA an sich. Der nächste Präsident trägt ein schweres Erbe mit der Kredit- und Bankenkrise, der Situation im Irak und der Lage der Umwelt. Es wird sich zeigen ob die Hoffnungen, die an Obama geknüpft werden, in wirksame Programme umgesetzt werden können. Ich würde mich über einen Sieg Obamas freuen.

 Du bist auch schon lange dabei. Welche MCs siehst du als „next level shit“ in Deutschland? In einem Interview mit DJ Stylewarz sagte er mir, dass es ihn stört, dass alle immer nur auf die Beginners, Torch oder Max Herre warten – aber keiner die Eier hat, wirklich mal etwas Neues, Eigenes und Innovatives auf die Beine zu stellen – dass alle wegfegt. Wo sind denn die jungen Wilden die das Game übernehmen wollen und aufgrund ihrer Skillz auch können?

Curse: Mcs die sich trauen sie selbst zu sein werden immer die Hoffnungsträger bleiben. Casper, der im Auftreten und Look mehr Emo und Rocker ist als alles andere, kann dadurch viel erreichen. Materia finde ich richtig gut. M.Riebold, ein junger Typ aus der Nähe von Bremen, ist ein Ultra-Nerd und Genie, und das hörst Du in den Texten. Morlokk Dilemma hat einen unkonventionellen, frischen Style der an beste East Coast Hochzeiten erinnert, und hebt sich dadurch enorm ab. Nur wenn Mcs ehrlich zu sich selbst und den Hörern sind können sie Rap in Deutschland als KUNST und KULTUR weiterbringen.

Warum gibt es keine KRS ONE oder CHUCK D.- Wachsfiguren bei Madame Thussauds?

Curse: Wow. Noch eine sehr gute Frage. Wir sollten eine Petition starten! Verdient hätte sie es. 

Warum sollte man sich dein Album „Freiheit“ kaufen und nicht für lau aus dem Netz ziehen?

Curse: Die einfachste Antwort wäre: weil Du mich damit beklaust. Die Antwort vom Herzen ist, weil Du dadurch nicht nur mich unterstützt weiterhin diese Musik mit diesem großen Aufwand zu produzieren, sondern auch ein Statement machst an alle die Rap mit Inhalt und Musik mit Seele für tot erklären: Wir sind hier!!

Interview & Interview : Peter Parker
Foto: Sony BMG