DEEPST DIGGIN’ 

Die Musik der Sechziger und Siebziger Jahre zieht bis heute noch viele Menschen in ihren Bann. Immer wieder gibt  Phänomene wie Michael Kiwanuka oder Sharon Jones, die mit authentischer, teils sogar analog aufgenommener Technik die Ohren einer breiteren Masse mit einem ganz bestimmten, alten Vibe erreichen und deren Herzen berühren. Zu behaupten der Soul erfahre eine wirkliche Renaissance würde vielleicht für viele etwas zu weit gehen. Geht man in die Tiefe findet man jedoch mehr Passion und Herzblut als manch einer überhaupt vertragen kann. Der Brite Ian Wright ist einer dieser fanatischen Goldgräber, der nachweislich Platten entdeckt, wie kaum ein anderer. Ein Gespräch über das Jagen und Sammeln im Auftrag des Soul. 

VINYLHUNTER NO.1

Was sind das für Menschen die im wahrsten Sinne des Wortes fast ihr ganzes Leben für die über 40 Jahre alten Grooves hergeben? Was treibst die Sammler dazu leidenschaftlich und heutzutage mit Schwindel erregenden Preisen für das schwarze Gold zu jonglieren? Warum hat diese kleine Zunft an Fanatikern sich fast ganz von Langspielschallplatten verabschiedet und verehrt die 7inch-Single (45s) fast wie ein heiliger Gral? Auch wenn es für viele von außen betrachtet sehr schwer ist, die feinen Nuancen und Unterschiede bei den Schwerpunkten der Nerds auszumachen, gibt es doch parallel laufende, wie überkreuzende Events. Northern Soul, Deep Funk, Boogaloo – wo und warum wird hier überhaupt noch unterschieden? Braucht eine kleine Szene an Rare Groove – Liebhabern überhaupt noch Subgenres und separate Veranstaltungen? „Natürlich!“ Rufen da ganz laut die Macher aus verschiedenen Ecken – weil man, wie in anderen Subkulturen oft nicht mehr vorhandene Individualität unterstreicht. Ist das aber auch gut so? Unterstreicht das nicht das oft eingeschränkt wirkende Nerdtum und den oft kaum zu ertragenden Purismus?

Collector & Selector

Ein Sammler zu sein heißt in vielen, aber lange nicht in allen Fällen auch ein Deejay zu sein. Diese Plattenleger haben sich also entschieden ihre seltenen, teilweise obskuren Vinylperlen mit anderen zu teilen und damit das Publikum auf Veranstaltungen zu rocken und in einen ganz eigenen Kosmos zu entführen. Der damit verbundene Dogmatismus und Purismus hat zweifellos dazu geführt, dass sich seit Mitte der 1990er Jahre richtige Szenehelden heraus gebildet haben. Der grimmige Schotte Keb Darge ist nicht nur durch seine „Legendary Deepfunk“ Session im Londoner Stadtteil Soho verorteten Madame Jo-jo Club und der Compilationreihe auf BBE MUSIC das bekannteste Beispiel. Daneben und dahinter bildete sich eine inzwischen global vernetzte Szene an bekannten und weniger bekannten Sammelwundern, Singlejägern und Plattenlegern die meist kleine Events organisieren auf denen es regelmäßig zu magischen Momenten kommt.

The praying mantis

Weltweit uneingeschränkten Respekt im Funkzirkus genießt der Brite Ian Wright. Fast schon devote Verehrungsbekundungen gibt es, wenn man in der Szene nach ihm fragt. Zu einer der wenigen reinen Funknächten in Deutschland, die Rebeat Funk Night von Ricardo Magnus in Freiburg, kam Ian Wright als Gastdeejay und wenn man das Set dieses unprätentiösen, höflichen Mannes gesetzteren Alters gehört hat, weiß man unweigerlich was diese beschworenen, magischen Momente sind. Ian Wright hat die Öffentlichkeit wohl erst im Jahr 2000 vermehrt wahrgenommen, obwohl er vorher schon sehr aktiv als DJ war. Zur Jahrtausendwende stellte er für BBE Music die bahnbrechende, heute kaum noch erhältliche Compilation „Sister Funk“ zusammen. Im Gespräch mit „The praying mantis“ stellte sich heraus, dass es sich beim Meisterjäger der raren Rillen um einen astreinen Traditionalisten handelt, der sich der Moderne nicht kategorisch verschließt.

Wie bist du zu deinem Spitznamen “The praying mantis” gekommen?

Wright: Glaube es mir oder nicht. Es hat überhaupt nichts mit dem Auflegen und Sammeln zu tun – auch wenn man das jetzt damit verbindet. Ich habe früher an einer Derivatenbörse in London gearbeitet und einer der älteren Händler pflegte jedem Mitarbeiter einen Spitznamen zu geben. Wahrscheinlich hatte ich diesen Namen bekommen, weil ich ihn bei einem Geschäft ausgestochen hatte. Darüber war er wohl so unglücklich, dass er mich so nannte. Das ist bis heute, wenn auch im Rare-Groove-Kontext geblieben.

War es damals, als du begonnen hattest rare Funk & Soul Singles (45s) zu sammeln, leichter an die richtigen Scheiben zu kommen? Gerade in den 1980ern war das Interesse an dieser Musik sehr gemindert…

Wright: Gerade in dieser Zeit, in den späten 1980ern und Anfang der 1990er, kam man definitiv leichter an die heißen Scheiben. Man klapperte mit seinen Suchlisten die Flohmärkte und Plattenläden ab. Man reiste viel in die USA oder man wartete sehnsüchtig drauf, dass bestimmt Plattenhändler von ihren Trips zurückkamen, auf denen sie Sammlungen aufgekauft hatten. In dieser Zeit war ich sehr viel unterwegs. Ich hatte auch in meinem direkten Umfeld Freunde die das Interesse an Funk und Soul verloren hatten und hier konnte ich auch an gute Platten kommen. Hauptsächlich bestand das Interesse anfangs dran die LPs zu bekommen. Der Preis für die Singles war damals noch relativ niedrig. Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen. Die weltweite Nachfrage war auch nicht so hoch wie heute.

Der Kontakt zu andere Sammlern und DJs kam dann jedoch bald?

Wright: Man kommt früher oder später in solche Kreise. Ich bekam Kontakt zu Keb Darge, Malcolm Cato, Gerald „Jazzman“ Short, Snowboy und DJ Shadow. Josh (Davis) habe ich dadurch kennen gelernt, weil wir beide billig an einige große Sammlungen an Platten gekommen sind und sie uns gegenseitig verkauften. Darüber ist wie bei den anderen auch ein ständiger Kontakt geblieben. Dieser Kontakt fällt heute leichter über das Internet. Peter Wermelinger, der Name ist nur in wirklichen Insiderkreise bekannt, war ein unglaublicher Sammler aus der Schweiz. Er hat eines der ersten Bücher über Funk-Scheiben zusammengestellt. Das war von unschätzbarem Wert für alle Digger. Das war noch alles viele Jahre vor dem Internet. Heute gibt es Discogs und Ebay als Plattform für die wahren Schätze. Das ist wohl der gravierende Grund für das massive Ansteigen der Preise für rares Vinyl.

Es gab eine Zeit, die ist noch gar nicht all zu lange her, da haben manche DJs die Exklusivität ihrer Platten geschützt, in dem sie die Covers abgeklebt haben, damit andere DJs nicht sehen konnten, welcher Interpret und welches Label man spielte. Sind die Zeiten des DJ-Dogmatismus endgültig vorüber?

Wright: Das in der Funk-Szene nie wirklich passiert. Aber das spielt eine relevante Rolle in der Nothern Soul Szene. Dort passiert das heute noch. Wenn etwas total unbekannt ist, kann ich es auf eine Art verstehen das auch so lange als „Exklusive“ zu behandeln, bis die Quelle erkannt ist und mehr Kopien im Umlauf sind.

Dieser puristische Gedanke steht jedoch konträr zu der „Soul Spectrum“ Geschichte die du mit Fryer betreibst?

Wright: Beides hat seine Berechtigung. Bei Soul Spectrum veröffentlichen wir Reissues, damit sie für jeden erschwinglich sind, der sich für gute Musik interessiert und nicht soviel Geld für seltene Nummern ausgeben kann. Fryer bringt die Kompetenz durch seinen Job bei Jazzman Records mit. Unser Label ist eine Art Sublabel von Jazzman. Wir unterscheiden uns, dass wir vor allem auf „rare modern disco“ auf 12inch fokussieren.

Es gibt dazu auch eine gleichnamige Label-Club-Night, bei der du mit Jason Sterland, Witchsbrew und Fryer auflegst. Wie kann man sich den Abend vorstellen? Was ist das Spezielle an diesem Event?

Wright: Die Idee war von Anfang an obskure Soul Nummern und rare Funkbretter zu spielen. Wir wollen den Leuten Musik zeigen, die sie überhaupt nicht kennen können und sonst fast nirgends hören können. Das ganze natürlich in einem würdigen Rahmen und angenehmer Clubatmosphäre. Bisher läuft es sehr gut und wir feierten das 3jährige Jubiläum er im November 2010.

Wie siehst du die weltweite Szene an die DJs die original Soul, Funk, Jazz, Latin & Afrobeat spielen? Denkst du manchmal auch, dass die Szene etwas veraltet?

Wright: Ich denke primär wird es immer eine Nachfrage geben nach DJs die original Vinyl spielen. Weil das ist das Medium, das Qualität und Außergewöhnliches mit sich bringt. Den es gibt immer und immer wieder Platten die entdeckt werden können und da kann man nicht auf ein anderes Format umsteigen. Es muss immer jemand da sein, der diese Fundstücke spielt. Also wird es weiterhin genau DJs, auch jüngere, geben.

Aber seit es die digitalen DJ-Systeme wie Traktor oder Serato gibt, spielen viele Plattendreher nur noch Mp3s. Es ist praktikabler und günstiger als das Sammeln von Vinyl! Also sammeln viele, vor allem junge Leute gar keine Schallplatten mehr.

Wright: Ich bin mir sicher, dass es eine ganze Menge an jungen Leuten gibt, die den Wunsch haben Vinyl zu sammeln, aber das Geld dafür nicht haben. Ich denke man kann Vinyl durchaus sammeln, aber die ganz raren Teile sind für junge Leute unerschwinglich. Das schreckt oft ab.

Du kommst durch deine DJ-Leidenschaft sehr viel herum. Du hast bereits in den USA, in Japan und in Europa aufgelegt. Gibt es Orte die du als wirklich etwas Besonderes ansiehst?

Wright: Davon gibt es einige. Die Energie und die Euphorie scheinen in Europa zu sein. Ich liebe die Gigs in Edinburgh, Berlin, Barcelona, Oslo und Malmö. Diese Crowd rockt immer. Etwas ganz Besonderes war die letzjährige Einladung zum Auflegen bei der Dig Deeper Night in New York. Das war atemberaubend.

Die meisten Rare Groove-DJs haben ihre Spezialfelder. Die meisten spielen Soul und Funk bis zum Jahr 1974. Disco wird oft genauso vermieden wie HipHop. Du bist ein anerkannter Rare Groover und sammelst und spielt trotzdem auch andere Styles aus den 1970ern und 1980er!

Wright: Ich weiß was du meinst (grinst). Ich denke durchaus das Disco auch ein Rare Groove sein kann, auch wenn das viele Kollegen nicht so sehen. Ich versuche gerade bei meinen Sets von allem etwas zu spielen. Nicht nur Funk – außer natürlich für spezielle Anlässe oder auf Wunsch. Aber ich spiele Disco, Northern Soul, Modern Grooves und zur Zeit mehr Latin denn je. Wenn es gut ist, spiele ich es.

In den Tagen des Internets ist wie du bereits angesprochen hast, die Szene miteinander vernetzt. Wie kann man sich den Austausch vorstellen? Chattest, mailst oder telefonierst du oft mit den Kollegen Cut Chemist, Florian Keller, Kon & Amir, DJ Muro oder Keb Darge?

Wright: Mit einigen von ihnen habe ich regelmäßig Kontakt, mit manchen sogar täglich. Der Austausch ist sehr gut zwischen uns. Man tauscht Soundfiles, kommentiert Musik, gibt sich Tipps und Empfehlungen und durchsucht Ebay nach neuen Fundstücken!

Zum Schluss noch eine Frage die ich schon einigen Plattensammlern und bekannten DJs bestellt habe: Wird es einen Tag geben, an dem du sagst, ich habe genug bzw. ich besitze genug Platten?

Wright: Never, Never, Never.

 

Text & Interview: Peter Parker

Foto: Flea Market