MAESTRO FUTURE JAZZ 

Am 10. Oktober 2009 steigt in der Muffat-Halle in München eine rießige Freestyle-Sause, wie man es in dieser Größenordnung vorher nur partiell gesehen hat. BBC-Radio-Ikone Gilles Peterson wird ebenso an den Plattentellern stehen wie die Wiener Downbeat-Jongleure Peter Kruder und Richard Dorfmeister oder die Berliner Soulbrüder von Jazzanova. Einst war die Muffat-Halle am Ufer der schönen Isar der Ort an dem die legendäre Clubnacht-Reihe „Into Somthin’“ von Michael Reinboth, Florian Keller und Theo Thönessen ins Leben gerufen wurde und jahrelang hier eines an erster Stelle stand: Gleichgesinnte Gäste aus aller Welt und immer wieder gute Musik die sich gegen das Kalkül und die Zwangsjacke des Mainstreams wehrte.

Hinter dem Konzept der Clubnacht stand die visionäre Idee namens Compost Records. Verantwortlich dafür war der Plattensammler, Musikjournalist und Musikliebhaber Michael Reinboth. Nun wird das einstige Flagschiff der so genannten NuJazz-Ära und des oft beschworenen Eklektizismus 15 Jahre alt. Eine lange Zeit für ein kleines Independent-Label das sich bis heute erfolgreich gegen Stagnation wehrt und auch 2009 weiterhin auf Suche nach innovativen Strömungen und Fusionen ist. Ein Gespräch mit dem Gründer und Labelchef Michael Reinboth, das nur bedingt eine Retrospektive ist. 

 Du hast seit 1993 über 200 Platten auf Compost/JCR veröffentlicht. Hättest Du jemals gedacht, dass dieses Label solche Ausmaße haben könnte?

Reinboth: Nein, ehrlich gesagt nicht. Erst nach dem ca. sechzigsten Release checkte ich mal so langsam die 100 und 150 angepeilt. Heute ist eine schwierigere Zeit allgemein. Fünfzig Releases in den nächsten zwei Jahren wäre mehr als optimistisch. Es geht auf alle Fälle weiter.

Rainer Trüby, Beanfield und die Kollegen deiner Intosomthin’ Crew gehören zu den Urgesteine und sind seit den Anfängen dabei. Wie trennt man Freundschaft von Geschäftlichen – geht das überhaupt auf Dauer?

Reinboth: Ja, das geht wenn man korrekt und loyal miteinander umgeht. Ich versuche meinen Kollegen Geschäftliches transparent, offen und fair zu gestalten. Ich habe selten schlechte Erfahrungen gemacht. Es ist bisher noch kein Künstler weggelaufen oder unzufrieden gegangen. Ich denke das ist ein Beweis dafür und dass wir hier kontinuierlich arbeiten, was ich auch als sehr wichtig empfinde.

Die internationale Presse feiert Compost Records seit Jahren als „innovative Kraft der eklektischen Szene“. Das ist Balsam für die Seele eines Independentlabels, oder?

Reinboth: Ja, sehr sogar. Aber das Lob und die positiven Kritiken an den jeweiligen Acts ist mir persönlich lieber und bringt ja auch mehr Verkäufe von dem dann alle profitieren. Anfangs war das Label als Marke und Plattform wichtiger. Heute sind es aber die Künstler. Man muss aber sagen und immer wieder betonen, dass der musikalische Spagat zwischen Funk, Soul, Jazz, Bosa Nova, HipHop, Electronica und Techno, der bei Compost immer wieder gewagt wird, nicht von allen Seiten gefeiert, goutiert und verstanden wird. Damit muss man einfach auch leben und das war früher schwerer.

 Dein gesteigertes Interesse in alle Arten von Musik äußert sich nicht nur in deinem Beruf als Labelbetreiber und DJ, sondern auch im passionierten Plattensammeln. Gerüchte besagen du hättest über 100.000 Stück. Du bist auch Familienvater. Gibt es irgendwann den Punkt an dem du sagst „Jetzt gibt es wichtigere Dinge“?

Reinboth: Ich sammle nach wie vor Platten, aber natürlich sind Dinge wie Familie, Freunde, Essen, Kultur sehr wichtig und steht selbst verständlich über Compost und meiner Leidenschaft, auch wenn es nach außen auf viele Leute anders wirkt. Ich habe natürlich mein Hobby zum Teil meines Berufes gemacht. Heute bin auch etwas kritischer geworden, was das Kaufen von Platten angeht – nicht nur aus Platzgründen. Wahrscheinlich werde ich sowieso nicht mehr genug Zeit auf Erden haben um alle noch mal anhören zu können (lacht). Nach wie vor liebe ich Musik und ich denke das ist auch wichtig für meinen Beruf.

Internationale Respektbekundungen nach 15 Jahren Compost. Gibt es trotzdem Momente bei dir, wo du fast resigniertst, weil eine in deinen Augen großartige Platte nicht beim Publikum ankommt bzw. sich schlecht verkauft?

Reinboth: Klar, jedes Mal aufs Neue. Da ist jedes Mal harte Arbeit und Herzblut in jeder Veröffentlichung. Ich resigniere natürlich nicht, aber die Enttäuschung ist sehr groß wenn ich merke wie oberflächlich Journalisten Musik hören und dann darüber schreiben. Die alten Querbeethörer und vorurteilsfreien so genannten Experten werden immer weniger. Ich vermisse da die Spex-Autoren der 80er Jahre. Meiner Meinung nach werden auch die Hipster immer jünger und damit aber nicht unbedingt weiser und aufgeklärter.

 Du meinst, dass Compost-Veröffentlichungen oft nicht richtig eingeordnet werden?

Reinboth: Ja, da hatten wir es schon so oft schwer mit unseren Releases. Das Trendkarussell dreht sich ja immer schneller. Was nicht sofort „zündet“ wird liegen gelassen. Viele Clubgänger, Hörer, Journalisten haben oft nicht gemerkt, dass wir uns mit unserer Musik nicht Trends unterwerfen. Wir fokussieren uns auch nicht auf zeitlose sowie zeitgenössische Sounds. Ich fand es oft schade, dass man der Musik selten eine Chance gibt, nur weil sie nicht als „New Wave“ oder „next level“ abgefeiert wird.

 Aber liegt nicht gerade im hohen Entdeckungsfaktor die Stärke vieler Compost-Platten?

Reinboth: Genau, da liegt eine der Stärken. Wir kommen seit Jahren immer wieder mit Platten die das „Nerdige“ und „Klassische“ verbindet. Egal ob das die Hybride aus Jazz und Drum’n’Bass oder Brasil und Techno sind – leider wird erst lange Zeit später dafür gelobt. Das ist oft schwer für ein kleines Label wie uns.

 Ich denke, dass genau aus dieser Perspektive diese Begriffe wie „Future Jazz“ und „NuJazz“ im Nachhinein entstanden sind. Ein Mitverdienst von Compost.

Reinboth: Was ich nicht generell als negativ bezeichnen würde – weil auch so
unser starkes Branding international entstanden ist. Wir haben ja auch die
Compilationreihe „Future Sound of Jazz“ danach ausgerichtet. Ich finde man darf
jedoch zukünft Compost eben nicht nur auf diesen Sound reduzieren. Da steuern
wir seit geraumer Zeit auch mit dem Sublabel (Compost Black Label) für
elektronischere und mehr cluborientierte Sounds entgegen.

 

Danke für deine Zeit und weiterhin viel Erfolg!

 

Text & Interview: Peter Parker (2009)

Foto: SZ 

 

-> Compost gibt es 2021 immer noch. Das Label veröffentlicht nach wie vor spannenden Musik zwischen Jazz, House und Electronica. Checkt dazu den Katalog auf der Bandcamp-Page.