SEUN KUTI:

REVOLUTIONARY

AGAIN & AGAIN 

 

Bereits mit 14 trat Seun Kuti, der jüngste Sohn Felas, das musikalische Erbe seines Vaters an. Als nach dessen Tod die Frage, was aus der Band wird, im Raum stand, entschied sich Seun für die Musik und somit für seine Band "Egypt 80".

13 Jahre und unzählige Gigs später hat Seun endgültig unter Beweis gestellt, dass er es schafft als Bandleader würdiger Nachfolger seines Vaters zu sein und dabei gleichzeitig seine eigenen musikalischen Visionen in die Tat umzusetzen. Seun Kuti’s zweites Album “From Africa With Fury: Rise” darf als weiterer Beleg dessen gehandelt werden. Am Rande eines fulminanten Konzertes in Stockholm, ließ sich
Seun auf ein kleines Frage und Antwort Spiel ein. Unser Autor Philipp Forwein sprach mit ihm. 

Wenn man dich auf der Bühne sieht, versteht man, was es heißt,
Bandleader zu sein. Du bist da eher wie ein Dirigent.

Ja. Bei so vielen Leuten auf der Bühne, ist es wichtig , dass sich die Band auf
dich konzentriert, wenn du spielst und deine Energie spürt. Ich möchte
gleichzeitig performen und die Band leiten. Sie fühlen mich und sie sehen
meine Energie und das hält uns sehr gut zusammen.

Du hast einen ziemlich straffen Tourplan. Bist du überhaupt in der
Lage, auf deiner Tour noch Songs zu schreiben? Oder wie bzw.
wann entwickelst du deine Musik?

Ich schreibe meine Songs am liebsten zuhause, in Ruhe und mit meinen
Freunden um mich herum. Ich schreibe dann im Wesentlichen auf, was mich
gerade bewegt und was ich fühle. Wenn ich unterwegs bin, schreibe ich eher
weniger an meinen Stücken. Nach dem ersten Album tourten wir fast
zweieinhalb Jahre, aber es gab dazwischen auch immer wieder ein paar
Auszeiten in denen wir das Album schrieben und 2010 dann aufnahmen. Wir
spielten danach viel zuhause in Nigeria.

Woher kommt dieses derzeitige so große Interesse an afrikanischer
Funk-Musik auf der ganzen Welt? Was denkst du?

Es geht dabei ja nicht nur um afrikanischen Funk. Das gleiche Interesse
besteht zum Beispiel auch an Latin-Musik. Die Sache ist die: Die meisten
Menschen sind gelangweilt vom Mainstream und davon immer nur das
Gleiche zu Ohren zu bekommen – Wieder und wieder. Die Leute sehnen sich
nach etwas Frischem. Sie haben sich jetzt für fast zwanzig Jahre dieselbe
Musik angehört. Ich glaube, die Leute haben den Mainstream einfach satt und
sie sind bereit, sich Alternativen zu suchen. Sie versuchen, etwas Besseres für
sich zu finden, als die Medien ihnen geben. Und ich glaube, sie finden einen
guten Ersatz.

Was hat sich an deiner Arbeitsweise beim zweiten Album geändert?
Ich glaube, ich hatte ein stärkeres Team. Brian Eno und John Reynolds waren diesmal die Produzenten. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Brian Eno?

Brian und ich lernten uns zwei Jahre vor dem Album kennen und wurden
Freunde. Das war 2009, als er mich zu einem Konzert nach Sydney einlud.
Seitdem sind wir in Kontakt geblieben. Er organisierte einen Gig in Brighton
für mich. Er nannte den Gig damals “This is afrobeat”. Er flog mich und die
ganze Band ein!Ich war erstaunt, als er mir erzählte, dass er sich sein erstes Afrobeat-Album 1973 kaufte – das war zehn Jahre bevor ich geboren wurde! Er ist also seit langem Fan afrikanischer Musik. Er hat sich sehr gefreut, als ich ihn fragte, ob er mein zweites Album produzieren wollte. Er hing sich wirklich rein und sagte: ‘Wenn du es aufgezeichnet hast, komm zu mir und ich werde es
produzieren’.

Deine Texte handeln von den aktuellen Problemen der
afrikanischen Gesellschaften. Musst du dich immer noch mit den
gleichen Problemen mit der Regierung herumschlagen, mit denen
sich schon dein Vater und viele deiner Bandmitglieder beschäftigen
mussten?

Wenn man gegen das Establishment ist, ist das Establishment natürlich auch
automatisch gegen dich. Aber das Problem ist nicht so gut greifbar – es ist eher
systematisch. Wir haben ja theoretisch eine so genannte Demokratie, eine
zivile Regierung. Aber trotzdem können sie jederzeit an deine Tür klopfen und
deinen Arsch ins Gefängnis stecken. So berühmt Fela auch ist – in Nigeria und der ganzen Welt – seine Lieder werden nicht mehr als fünf Mal im Monat im Radio gespielt. Meine Lieder
spielen sie dementsprechend vielleicht zwei Mal pro Monat. (lacht)

Wie steht es um die jüngeren Leute? Wie reagieren die auf deine
Musik?

Die Sache ist so: Einmal im Monat haben wir den “Shrine Club” (legendärer,
durch Fela Kuti gegründeter Afrobeat Club in Lagos – Anm.d.R.) geöffnet.
Afrobeat war schon immer eine Art Bewegung. Die Leute kommen, um
Selbsterfahrungen zu machen. Und auch wenn sie die Musik nicht im Radio
hören, bekommen sie die CDs irgendwo her und kommen zu den Shows.
Afrobeat ist immer noch sehr stark.

Demnach existiert der Shrine Club noch?

Nicht der den mein Vater gründete. Mein Bruder eröffnete damals einen Neuen.
Ich las vor einer Weile, dass der Club 2009 wieder geschlossen
wurde. Die Regierung hat ihn damals ohne jeglichen Grund dicht gemacht. Eine
Woche später war er dann schon wieder offen.

Wie steht es um die Musikszene in Lagos, in Nigeria allgemein? Wie
entwickelt sie sich? Hat sie immer noch den gleichen Vibe, die
gleiche Energie, die sie in den Sechzigern hatte, als dein Vater die
Afrobeat-Bewegung in Gang setzte?

Nein, ich glaube nicht. Ich denke, die Musik verbessert sich langsam und
stetig. Sie ist aber noch lange nicht auf dem gleichen Niveau von damals. Sie
ist noch ein ganzes Stück entfernt von der Qualität der Musik, die wir in den
Sechziger- und Siebzigerjahren in Nigeria hatten. Aber ich denke, langsam
kommt die Musik zurück.

Wenn wir über die Revolution in der arabischen Welt reden, hat
das auch etwas in Nigeria geändert?

Ja, auf jeden Fall haben die Menschen erkannt, dass man gemeinsam etwas
schaffen kann. Man kann es schaffen. Aber der Unterschied zwischen der
arabischen Welt und der meinen ist, dass wir keinen so stark verbindenden
Faktor, wie Nordafrika haben – sie haben den Islam. Obwohl sie auch in der
arabischen Welt alle aus verschiedenen Stämmen kommen, sind sie alle
Muslime. Und der Islam ist ihre gemeinsame Kultur. In Westafrika sind wir so
verschieden: Verschiedene Religionen, verschiedene Kulturen. Wir müssen
nach etwas suchen, dass uns zusammenhält. Aber bei uns ist das nicht der
Islam, denn nicht jeder ist ein Muslim. Aber trotzdem haben die Leute
gesehen, dass man gemeinsam etwas erreichen kann. Und die Jugend in
meinem Land mischt sich wieder mehr in die Politik ein – mehr als in den
letzten 25 Jahren.

Die afrikanischen Grenzen wurden mit dem Lineal auf der
Landkarte gezogen. Sie haben sich nicht natürlich entwickelt, oder?

Die afrikanischen Grenzen sind frei erfundene Trennlinien, die die Menschen
in den Grenzgebieten, die eigentlich zusammen eine Nation bilden, neu
gruppieren. Sie wurden gezwungen, eine neue Koexistenz aufzubauen. Diese
Art von Existenz kann nicht funktionieren. Eines der größten Probleme Afrikas
ist die Tatsache, dass durch die Art und Weise, wie die afrikanischen Grenzen
von oben herab gezogen wurden, Menschen zusammengewürfelt wurden, die
vollkommen unterschiedlich sind. Und alle haben unabhängige, egoistische
und ethnische Allianzen, die sie aufrecht erhalten müssen. Das schafft eine
gute Atmosphäre für Korruption. Denn wenn die Leute keine nationalen
Interessen oder Patriotismus für das Land haben, in dem sie leben, wenn es
keinen nationalen Stolz gibt, wenn die Menschen ihr Land nicht so lieben, wie
es geliebt werden sollte, kann es kein Land werden, in dem die Menschen
wirklich friedlich und vereinigt leben. Diese Tatsache wiederum gibt den
Regierungsvertretern die Möglichkeit, Raubbau am eigenen Land zu betreiben.
Niemand fühlt sich davon persönlich verletzt, wenn so etwas passiert. Das
fühlt sich für die Leute einfach so an, als würde etwas aus Nigeria gestohlen –
einem Gebiet aufoktroyierter Grenzen, dem man zufällig angehört. Niemand
fühlt sich auf einer persönlichen Ebene betroffen, wie “Oh … die Regierung hat
etwas von mir gestohlen”.Viel mehr tun die Leute alles dafür, in die selbe
Position zu kommen und später das Gleiche zu tun (lacht)

Aber du bist doch optimistisch, oder? Oder besser gefragt: Wie
siehst du Afrika in sagen wir mal zehn Jahren?

Für eine lange Zeit war ich nicht sonderlich optimistisch. Aber seitdem es
mehr Interesse der Jugend an der Politik in Afrika gibt – vor allem in meinem
Land – habe ich das erste Mal seit langem ein Gefühl der Hoffnung. Leider ist
die Vorstellung der Jugend von Politik immer noch sehr naiv. Es muss noch
sehr viel getan werden, das Bildungsniveau muss immens wachsen. Und die
Leute müssen verstehen, was es tatsächlich bedeutet, nationale Interessen im
Herzen zu tragen. Das ist es, was die Jugend in Afrika lernen muss. Ich denke,
es ist der richtige Zeitpunkt, dem Afrobeat eine tragende Rolle in diesem Spiel
zu geben. Es ist wichtig, mit den jungen Menschen zu sprechen und ihnen
begreiflich zu machen, was wirklich zählt und was wir brauchen, um Afrika
auf einen besseren Weg zu bringen.

Text & Artikel: Philip Frowein